Bedürfnisorientierte Erziehung ist in vielen Familien ein großes Thema. Eltern bemühen sich, die Bedürfnisse ihrer Kinder zu erkennen und zu erfüllen, in der Hoffnung, dass das Kind dadurch glücklich ist. Doch dieser Ansatz greift oft zu kurz. Es ist wichtig, zwischen den Bedürfnissen und den Wünschen eines Kindes zu unterscheiden – und genau hier liegt der Knackpunkt.
Der Pädagoge Jesper Juul machte einen entscheidenden Unterschied: Bedürfnisse sind grundlegend und lebensnotwendig (wie etwa Hunger), während Wünsche oft Momentaufnahmen von Lust sind (wie der Wunsch nach Eis zu jeder Tageszeit). Die Wünsche sind dabei für Kinder nicht weniger beachtenswert oder wichtig als Bedürfnisse.
Was brauchen Kinder wirklich?
Kinder haben zwei grundlegende Bedürfnisse: Autonomie und Beziehung. Autonomie bedeutet, sich selbst auszuprobieren und Entscheidungen zu treffen, während Beziehung das Bedürfnis nach Nähe, Geborgenheit und Verbundenheit ist. Diese beiden Bedürfnisse können sich manchmal widersprechen. Ein Kind wünscht sich vor dem Mittagessen unbedingt ein Eis. Das Kind möchte gleichzeitig Autonomie (es möchte entscheiden, wann und was es ist) und Beziehung (es möchte durch die Reaktion der Eltern erfahren, wie ernst diese ihre und seine Wünsche nehmen)
Wie reagieren wir als Eltern?
Nehmen wir das Beispiel des hungrigen Kindes, das sofort ein Eis essen will. Das Kind möchte wissen, wie die Eltern auf seine Forderung reagieren. Es möchte erfahren, ob die Eltern in der Lage sind, sich selbst treu zu bleiben und ihren eigenen Werten zu folgen, während sie gleichzeitig auf die Bedürfnisse des Kindes eingehen. Die Beziehung steht hier im Vordergrund: Wie reagieren die Eltern? Zeigen sie Verständnis für die Wünsche ohne sie gleichzeitig sofort immer erfüllen zu müssen?
Eine mögliche Reaktion:
Anstatt jedem Wunsch sofort nachzugeben, sollten Eltern achtsam hinter das Verhalten schauen und ihre eigenen Bedürfnisse im Blick behalten. Eine liebevolle Antwort auf das hungrige Kind könnte etwa sein: „Ich sehe, du hast Hunger und Lust auf ein Eis, aber ich koche gerade, es dauert noch ein bisschen. Dann bekommst du etwas zu essen und wir schauen, ob es als Nachtisch Eis geben könnte.“ Diese Antwort zeigt dem Kind, dass es gehört wird, gleichzeitig aber auch, dass es Geduld braucht und die Eltern sich selbst und ihre Werte ernst nehmen.
Mehr als nur Befriedigung:
Bedürfnisorientierte Erziehung bedeutet nicht nur, Wünsche sofort zu erfüllen, sondern bewusst zu reagieren. Es geht darum, das echte Bedürfnis hinter dem Wunsch zu erkennen – sei es nach Nähe, Selbstständigkeit oder beidem. Kinder lernen, dass nicht jeder Wunsch sofort erfüllt wird und Frustrationen dazugehören. Diese Frustrationen oder Ärger der Kinder gilt es als Eltern auszuhalten und gleichzeitig die Kinder wahrzunehmen.
Fazit:
Bedürfnisorientierte Erziehung ist mehr als das bloße Erfüllen von Wünschen. Sie verlangt von uns als Eltern, dass wir achtsam mit den Bedürfnissen unserer Kinder und unseren eigenen Bedürfnissen und Werten umgehen. Nur so entsteht eine lebendige, authentische Beziehung, die das Kind fördert und auch uns als Eltern wachsen lässt.
Herzliche Grüße!
Birgit